Predigt zu Röm 13,1-7 am 4.11.2018

Predigt zu Röm 13,1-7 (von Henning Porrmann)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Liebe Gemeinde!

Diese Tage sind voll deutscher Geschichte. Wir denken in diesen Tagen an 100 Jahre Abschaffung der Monarchie und Ausrufung der ersten Deutschen Republik, an die Tage, in denen der Judenhass so offensichtlich grausam gelebt wurde, dass er vor aller Augen war, die Reichspogromnacht 1938 und an die Maueröffnung vor 29 Jahren und das Ende der DDR. Wir haben gerade die Wahlen in Bayern und in Hessen hinter uns und erleben fast täglich wie etablierte Parteien von den Wählerinnen und Wählern verlassen werden, wie sich Machtverhältnisse ändern und Antworten auf komplexe Fragen schwieriger werden. Viele schauen in diesen Tagen auch mit Spannung in die USA und auf die Mid Term Elections und warten manchmal angstvoll darauf, was der mächtigste Mann der Welt demnächst wieder loslässt. Von dem Blick auf den Krieg in Syrien oder den Umgang mit der Pressefreiheit in der Türkei oder den Machtbeziehungen eines verbrecherischen Regimes in Saudi Arabien mal ganz zu schweigen… Sie meinen, liebe Gemeinde, das hätte doch alles nichts im Gottesdienst zu suchen?

Doch, heute schon, denn heute ist ein Text von Paulus dran, der sich mit dem Verhältnis zur Obrigkeit, zu den Herrschenden beschäftigt und damit all die genannten Themen berührt. Hören Sie was Paulus ungefähr im Jahr 55 den Christen in Rom vermutlich von Korinth aus schreibt:

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

Liebe Gemeinde, soweit das, was Paulus der Gemeinde in Rom schreibt. Mich reizt dieser Briefabschnitt zum Widerspruch und ich schreibe Paulus zurück:

Brief an Paulus mit Widerspruch

Lieber Paulus, heute muss ich Dir entschieden widersprechen. Es stimmt einfach nicht mehr, was du schreibst, dass jede Obrigkeit von Gott eingesetzt ist und jeder Mensch der Obrigkeit untertan ist, die Gewalt über ihn hat. Wir sind Gott untertan, wir sind des Lebens und der Macht des Lebens untertan. Wenn die Obrigkeit dem dient, OK, wenn nicht müssen wir Widerstand leisten.

Mag sein, dass du das damals in Rom für klüger gehalten hast, still zu halten. Die Gemeinde war bedroht und der Willkür der Herrschenden ausgeliefert. Juden sind schon damals aus Rom gewalttätig vertrieben worden. Wer weiß, wozu die Mächtigen in der Lage sind. Da hält man sich besser zurück, so deine Empfehlung, die bösen Werke derer die Gewalt haben sind einfach zu stark, meinst du das?

Aber weißt du eigentlich, wie viele Gewaltherrscher seit dem ihren brutalen Machtanspruch mit Deinen Worten legitimiert haben und die „braven Christinnen und Christen“ damit zum Schweigen gebracht haben? Worte machen eben doch einen Unterschied. Wer mit Worten Gewalt sät, wie das gerade der amerikanische Präsident immer wieder macht, der wird immer wieder Menschen, die wenig nachdenken anstacheln, denen Worte irgendwann nicht mehr reichen. Und dann führen sie in ihren Augen nur Befehle von höherer Stelle aus und schicken Briefbomben oder erschießen Menschen beim Gottesdienst in einer Synagoge oder dienen der Vernichtungsmaschinerie wie Adolf Eichmann als guter Beamter der nur ausführt, was man ihm von oben sagt. Natürlich, dafür kannst du nichts, lieber Paulus, aber das ist daraus geworden. Widerstand wurde religiös klein gehalten, obwohl du doch auch sagst, dass auch die Obrigkeit Gott unterstellt und von Gott eingesetzt ist zum Nutzen der Menschen. Leider haben viele wohl nach Vers 1 und 2 nicht weitergelesen und vielleicht auch gar nicht richtig verstanden, dass du hier ja auch Gott noch über die Obrigkeit stellst. Jede Obrigkeit ist von Gott, nicht aus sich selbst heraus. So habt ihr das damals geglaubt. Und wenn die Herrschenden sich in diesem Sinne als von Gott eingesetzt verstehen, um dem Volk, den Menschen, dem Gemeinwohl, ja letztlich dem Leben zu dienen, dann ist die Unterordnung völlig OK. Ja, wir brauchen eine Ordnung für unsere Zusammenleben und eine Macht, die sich um die Einhaltung dieser Ordnung kümmert. Aber was wenn nicht die Menschen und das Gemeinwohl an erster Stelle stehen?

Und außerdem, Paulus, wir leben heute, jedenfalls in Deutschland in einer Demokratie, die vor hundert Jahren zum ersten Mal zaghaft versucht wurde: das heißt die Macht geht ganz klar vom Volk aus. Die Macht ist der Obrigkeit nur Verliehen / Geliehen auf Zeit, damit sie, und hier sind wir uns ja auch einig, Gott dient, der Lebensordnung dient und den Menschen die unter ihr leben dient.

Darum zahlen wir Steuern und unsere Obrigkeit entscheidet im Sinne aller, wie mit den gemeinsamen Ressourcen umzugehen ist. Aber Paulus, das ist der Fall wenn alles gut läuft. Und auch dann ordnen wir uns nicht einfach blind unter.

Wir schauen der Obrigkeit, den Herrschenden auf die Finger. Auch für sie gelten Gesetze, an die sie sich halten müssen und Gerichte und Polizei wachen darüber. Uns ist die Pressefreiheit wichtig, damit Dinge ungestraft hinterfragt und ans Licht gebracht werden können. Das ist schon ein ganz anderes System als damals bei dir. Ich denke, der Widerspruch gehört heute mit dazu, wenn Menschen miteinander Macht und Vollmacht ausüben, sie teilen und aufteilen, damit das Beste am Ende für die Menschen herauskommt und die Menschheit sich gemeinsam den globalen Herausforderungen stellen kann. Allerdings beklagen wir auch heute noch die Verhältnisse in vielen Ländern und Staaten in denen nicht das Gemeinwohl und die Menschen an erster Stelle sind, und es scheinen immer mehr zu werden. Und wenn ich mir diese Herrschaftssysteme ansehe, die Menschen unterdrücken, und zuerst der Wirtschaft und dem Geld huldigen und nicht den Menschen, sondern nur den eigenen Machtinteressen, dann sind Worte wie deine unverantwortlich.

Und weißt du was Paulus, ich bin stolz auf Menschen in unserem Volk und in der ganzen Welt, die sich über deine Worte hinweggesetzt haben, zum Beispiel als der braune Nationalsozialistische Wahnsinn über so viele Menschen in Deutschland ausgebrochen ist und diese Menschen Widerstand geleistet haben, oft unter Einsatz ihres Lebens. Nur zwei Beispiele sind Dietrich Bonhoeffer und Stauffenberg, aber auch die vielen anderen, die im Namen der Menschlichkeit und oft auch im Namen Gottes, Juden und andere verfolgte Menschen geschützt und versteckt haben, Martin Luther King, Mahathma Ghandi und die Menschen, die sich um die Erinnerung an schwere Zeiten in Deutschland kümmern. Heute wird im Museum in Meerholz übrigens die Ausstellung über jüdisches Leben in Meerholz eröffnet.

Ach Paulus, und du kennst doch auch die Geschichte deines eigenen Volkes. Die Gewaltherrschaft des Pharaos in Ägypten damals konnte doch auch nicht geduldet werden. Gott selbst hat sich eingesetzt für die Freiheit seines Volkes.

Oder bist du vielleicht einfach nur über die Jahre falsch verstanden worden?

Wenn ich mir anschaue, was du vorher schreibst über das ganze Leben, das ein Gottesdienst sein soll, oder wenn ich mir ansehe, was du nach dem Predigttext für heute schreibst, bekommen deine Worte vielleicht nochmal ein anderes Gewicht. Ich lese mal weiter (ab V8):

Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist (2. Mose 20,13-17): »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.

Wenn Liebe wirklich die Erfüllung des Gesetzes Gottes ist, das dem Leben dienen soll, dann kann es einfach gar nicht sein, dass du denkst, dass wir jeglicher Obrigkeit stillhalten müssen. Dann ist der Maßstab – auch und gerade für die Obrigkeit – ein anderer, nämlich der der Liebe. Und zwar im Sinne von Liebe zu den Menschen, zu dem was dem Leben dient, zur schöpferischen Kraft Gottes in allen Menschen und in aller Welt. Obrigkeit ist dann gut, wenn sie den Menschen dient und dann ist es auch richtig sie anzuerkennen und sich unterzuordnen, aber sobald das verletzt ist, ist die erste Christenpflicht sich im Namen des Mannes aus Nazareth, der für alle Menschen gekommen ist, der die Menschenfreundlichkeit Gottes und die Nächstenliebe gelebt hat gegen alle Menschenverachtung zu stellen und aufzustehen für Würde, Achtung, Toleranz, Frieden, Gerechtigkeit und eine heile Umwelt.

Welche Obrigkeit, welche Parteien diese Ziel am besten verfolgen, wie das zu erreichen ist, darüber ist zu streiten und immer wieder neu zu diskutieren. Darüber gibt es und darf es unterschiedliche Meinungen geben. Der richtige Weg, die Mittel dahin sind immer wieder neu zu verhandeln. Aber die Würde des Menschen darf nicht zur Disposition stehen. Und dafür steht die Kirche, die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesus Christi.

Lieber Paulus, was würdest du wohl heute sagen zur Weltlage, dazu, dass wir durch die Zusammenarbeit in Europa, durch Verständigung und immer wieder neuem Ringen um den richtigen Weg schon so lange Frieden in unserem Land genießen durften, und dass in Deinem Land immer noch vieles im Argen liegt. Was würdest du wohl sagen, um uns zu ermutigen, unseren Glauben an den menschenfreundlichen und menschgewordenen Gott auch in die Tat und ins politische Handeln umzusetzen? Würdest du uns heute beibringen, dass wir die Kraft Gottes in uns tragen und wir Widerstand leisten dürfen, um Gottes Willen? Ich weiß es nicht, aber ich danke dir für deine Worte, die uns zu Worten Gottes werden. Also möchte ich schließen mit deinen Worten nach diesem Predigtabschnitt: Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Predigten aus der Schlosskirche