Predigt am 16.11.2014 zu 2. Kor 5,1-10

Predigt zu 2. Kor 5,1-10 am 16. November 2014
vorletzter Sonntag im Kirchenjahr
Volkstrauertag
Liebe Gemeinde!
Wenn sie ihr Leben mit einem Haus vergleichen würden – was wäre das für ein Haus?! Ich meine jetzt nicht, was Sie sich für eins wünschen, sondern wie Sie es jetzt in diesem Moment empfinden. Als große Villa, mit Swimmingpool, Garten und Sauna? Oder wäre ihr Leben eher ein ganz funktionales Gebäude: Ein Bürohaus, mit lauter unterschiedlichen Arbeitsmöglichkeiten, Büros, Werkstätten vielleicht, usw. aber keiner Möglichkeit zum Entspannen...? Oder ist es eine Villa Kunterbunt, hier mal was angebaut, da mal was dazugekommen? Gibt es in diesem Haus viele Fenster und Türen und sind die offen oder geschlossen? Gibt’s da Gästezimmer? Oder gleicht es eher einem Einfamilienhaus mit einem kleinen Gärtchen dabei... ganz beschaulich und gemütlich, nichts Aufregendes...
Ich verrate jetzt nicht, mit welchem Haus ich mein Leben vergleichen würde, allerdings kommt mir das Leben oft viel eher vor wie eine Baustelle.

Da ist vieles nicht fertig oder zu Ende gebracht, angefangen und dann fehlte die Zeit oder die Ruhe es zu vollenden, da ist vieles, was mit der Zeit wieder kaputt gegangen ist, was dringend ein paar Handwerker nötig hätte. Streit mit Menschen, die man eigentlich gerne mag, Krankheit, die einen zwingt, sein Leben noch mal von vorne und neu zu durchdenken und zu bauen. Klar, daneben gibt’s auch die fertigen Räume, wenn ich in Gedanken durch das Haus meines Lebens gehe. Dinge die gelungen sind, Freundschaften, die belastbar sind, eine Familie, die einen guten Rückhalt bietet, ein schöner und sicherer Beruf, manchmal das Gefühl, im Leben, an dem Ort wo ich gerade bin, zu Hause zu sein... ich denke, Sie könnten da auch einiges an heilen Räumen aus ihrem Leben benennen. Und dennoch, mir geht’s jedenfalls so, finde ich oft bei genauem Hinsehen in den Räumen, die ich heute als heil, gut und fertig erlebe, morgen schon wieder die ersten kleinen Risse... Das Leben – eine Baustelle.
Auch die vielen düsteren Nachrichten aus aller Welt zeigen es: Überall schreit uns entgegen, dass das Haus unserer Welt besser gebaut werden muss, damit die Welt ein Haus des Friedens und des Ganz-seins werden kann. Die Welt ist ganz und gar nicht in Ordnung oder gar heil und fertig. Es gibt und gab noch unzählig viele sog. „Kriegs-Felder der Ehre“ mehr, auf denen Soldaten für die vermeintlich gerechte Sache, das Vaterland, die Familie oder ein heiles Leben ihr Leben lassen mussten. An die Menschen, die Soldaten und die Opfer, deren Zukunft auf diese Weise ausgelöscht wurde, denken wir heute am Volkstrauertag und sehen auch hier, im Rückblick auf die Geschichte mit Schmerzen, Trauer und Wut, dass die Welt, dass das Leben nicht so ist, wie es sein sollte, fragmentarisch, gebrochen, unheil, vorläufig... Eben Leben wie auf einer Baustelle und die Frage ist: Wie lebt man auf einer Baustelle, in seinem unfertigen und immer wieder in Frage gestellten Leben?! Der Predigttext für heute kann da vielleicht eine Antwort geben...
Der Apostel Paulus vergleicht das Leben da auch mit einem Haus, genauer gesagt: mit einer Hütte:
Ich lese uns 2. Kor 5,1-10
Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben. Der uns aber dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns als Unterpfand den Geist gegeben hat. So sind wir denn allezeit getrost und wissen: solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn; denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn. Darum setzen wir auch unsre Ehre darein, ob wir daheim sind oder in der Fremde, daß wir ihm wohlgefallen. Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse.
Sie sehen, liebe Gemeinde, dem Apostel Paulus ging’s damals ähnlich: Er leidet unter den Umständen, die das Leben mit sich bringt. Er seufzt, ist beschwert und er sehnt sich danach „vom Himmel überkleidet“ zu werden: Was für ein schönes Bild: Das Unvollkommene, Fragmentarische soll hineingenommen, eingebaut, überkleidet werden mit dem Vollkommenen, das Schwere mit dem Leichten. Auch den Tod und das Sterben um sich herum nimmt Paulus wahr und sehnt sich voller Hoffnung danach, wenn das Sterbliche, Endliche und Vorübergehende „verschlungen“ wird vom Leben.
Bis hierhin könnte man meinen, liebe Gemeinde, die Antwort von Paulus auf das viele Unfertige, Kaputte und Beschwerliche im Leben liegt außerhalb des Lebens, bei Gott, im Himmel. Eben zeitlich „nach“ dem irdischen Leben, dieser Hütte, die doch abgebrochen wird. Dann erst kommt das Eigentliche und darauf soll man in Geduld warten... Weltflucht würde ich das nennen. Das wäre ein Leben, das nicht mehr in der Gegenwart, sondern in einer Traumwelt lebt.
Aber ist das die Lösung, liebe Gemeinde, Weltflucht, die ganze Baustelle, das Leben mit allem Unfertigen und Chaotischen einfach aussitzen und auf die Ewigkeit warten?
Nein, denn das würde weder unserem Leben, das in vielen Dingen Fragment bleibt, noch dem Wunsch und Willen Gottes mit dieser Welt gerecht. Und außerdem wäre dann das Leiden und Sehnen der Menschen nach einer besseren Welt umsonst und vergeblich.
Paulus sagt dazu, dass Gott uns zu dem Vollkommenen, zum gelingenden, erfüllenden Leben bestimmt hat und dass wir dafür eine Garantie haben: Nämlich den Geist. Gottes Geist, in der Taufe in uns gelegt, ist die Garantie, dass wir zum Leben bestimmt sind und nicht zum Tod, dass unser Leben Bestand haben soll und nicht bedeutungslos ist oder wird.
Allerdings ist es auch der Geist Gottes, der uns an der Welt so wie sie ist, so wie Gott sie nicht gemeint hat, leiden lässt. Gottes Geist macht uns das ganze Elend erkalteter Beziehungen, ungerechter Verhältnisse und globaler Krisen schmerzhaft bewusst. Erst mit dem Bild vor Augen, wie Leben sein kann, können wir empfinden, wie weit wir uns als Menschen von der Lebensmacht Gottes entfernt haben. Diese Sehnsucht danach wie Leben sein soll und sein könnte schmerzt. Sehnsucht tut immer weh. Aber die Sehnsucht nach heilem, ganzem Leben, treibt uns auch an und gibt die Kraft, sich für eine lebenswerte Welt einzusetzen, in der Menschen in Frieden und Gerechtigkeit miteinander leben können.
In dieser Sehnsucht nach himmlischer Heimat findet Paulus Trost und er nimmt sie zum Anlass, klar zu stellen, dass das Leiden an der Welt, so wie sie ist, kein Grund ist, sich aus ihr zurückzuziehen, sondern im Gegenteil: Auch wenn er noch weit weg von Gott ist, setzt Paulus seine ganze Ehre darein, Gott zu gefallen, denn so schreibt er: wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse. Das heißt, was wir hier tun, das hat Auswirkungen auf das Leben dann. Es ist nicht egal, wie wir mit der Schöpfung und mit unseren Mitgeschöpfen umgehen.
Allerdings geht das auch umgekehrt: Das heile Leben wonach wir uns sehen, das Gott uns versprochen hat wird sich auch schon auf die Gegenwart auswirken.
Ich würde sogar sagen, dass wir nur mit dieser Hoffnung auf heiles Leben befreit werden zur Gegenwart. Dann leben wir nämlich jetzt schon im Licht der Zukunft Gottes, durch den Geist, der mit der Taufe geschenkt wird und der Menschen verwandelt, bzw. uns eine Ahnung vom erlösten Leben, vom Leben wie Gott es gemeint hat gibt. Dann kriegen wir als Glaubende eine Ahnung davon, wohin in die Reise unseres Leben in all ihrer Vorläufigkeit geht. Dann entdecken wir, dass das menschliche Leben nicht in bloßer Vorfindlichkeit aufgeht, auch nicht in dem, was wir gemeinhin „Realität“ nennen. All die Bruchstücke und Scherben unseres Lebens gehören zu uns, sind ein Stück von uns, ja, aber noch lange nicht alles. Wir brauchen uns nicht schämen für unser Leben, und wir dürfen die Hoffnung haben, dass Gott aus unseren Scherben etwas machen wird. Dann wissen wir, dass all das, was unser Leben immer wieder zur Baustelle macht, vorläufig bleibt: Ungerechtigkeit, Krieg, Streit, Terror, Hass, Dummheit oder Krankheit und Leid. Dieses irdische Haus, diese Hütte, sagt Paulus, wird abgebrochen und dann haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Mit diesem Wissen kann Paulus leben, auch auf der Baustelle seines Lebens, mit allem, was unfertig und chaotisch ist. So kann er werden, der er schon ist: Ein Bewohner im Haus Gottes. Ein Haus, das Schutz und Sicherheit gibt und in dem die Hoffnung wohnt.
Ich wünsche ihnen und uns allen das auch, dass Sie, dass auch wir werden, die wir schon sind, Bewohnerinnen und Bewohner im Hause Gottes auf dem Weg ins Heil und zum Frieden.
Amen
Henning Porrmann

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