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Willst du gesund werden? Von der heilsamen Kraft der Begegnung - Predigt zu Joh 5

Willst du gesund werden? Von der heilsamen Kraft der Begegnung - Predigt zu Joh 5 von Henning Porrmann

 

 

Liebe Gemeinde,

Der Predigttext für den heutigen Sonntag erzählt vom Gesundwerden und einer lebensverändernden Begegnung. Joh 5 die Verse 1-16 nach der Übersetzung der Basisbibel:

Einige Zeit später war wieder ein jüdisches Fest und Jesus zog nach Jerusalem. Beim Schaftor in Jerusalem gibt es einen Teich mit fünf Säulenhallen. Auf Hebräisch wird dieser Ort Betesda, Haus der Gnade genannt. In den Hallen lagen viele Kranke, Blinde, Gelähmte und Menschen mit verkrüppelten Gliedern. Dort war auch ein Mensch, der seit 38 Jahren krank war. Jesus sah ihn dort liegen und erkannte, dass er schon lange krank war. Da fragte er ihn: »Willst du gesund werden?«

Der Kranke antwortete: »Herr, ich habe keinen, der mich in den Teich bringt, sobald das Wasser in Bewegung gerät. Wenn ich es aber allein versuche, steigt immer ein anderer vor mir hinein.«

Da sagte Jesus zu ihm: »Steh auf, nimm deine Matte und geh!« Im selben Augenblick wurde der Mensch gesund. Er nahm seine Matte und ging. Der Tag, an dem dies geschah, war ein Sabbat.

Da sagten die Vertreter der jüdischen Behörden zu dem Geheilten: »Es ist Sabbat! Du darfst deine Matte nicht tragen!« Er antwortete ihnen: »Der Mann, der mich geheilt hat, der hat zu mir gesagt: ›Nimm deine Matte und geh!‹«

Sie fragten ihn: »Wer ist das gewesen? Wer hat zu dir gesagt: ›Nimm deine Matte und geh!‹?« Der Geheilte wusste es aber nicht. Denn Jesus war in der Menschenmenge verschwunden, die sich dort versammelt hatte.

Später traf Jesus den Menschen im Tempel und sagte zu ihm: »Du bist gesund geworden! Lade keine Schuld mehr auf dich, damit dir nichts Schlimmeres geschieht.« Der Mensch ging weg und berichtete den jüdischen Behörden: »Es war Jesus, der mich gesund gemacht hat.«

Von da an verfolgten die jüdischen Behörden Jesus, weil er das an einem Sabbat getan hatte.

G+tt, schenke uns ein hörendes Herz und Augen, die deine Wirklichkeit sehen. Amen.

Liebe Gemeinde

Manche Krankheiten sieht man. Und manche nicht. Manche Menschen tragen ihr Leiden sichtbar – mit Krücken, mit Verbänden, mit Narben. Andere schleppen es unsichtbar durch den Alltag: Angst, Depression, Erschöpfung, chronische Schmerzen, Selbstzweifel. Invisible Disabilities, sagt man heute dazu. Unsichtbare Einschränkungen. Dinge, die lähmen, ohne dass man sie einem anderen Menschen gleich ansieht.

Die „Invisible Disabilities Week“, die „unsichtbare Einschränkungen Woche“ erinnert daran, wie viele Menschen mit chronischen, unsichtbaren Einschränkungen leben – die man ihnen oft nicht ansieht. In Deutschland wächst das Bewusstsein dafür langsam, zum Beispiel durch Podcasts oder durch Beiträge zu dieser Woche in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender. Depression wird so zum Beispiel von vielen prominenten Menschen an die Öffentlichkeit gebracht und so ein Bewusstsein geschaffen, wie es ist, mit dieser Krankheit und mit anderen psychischen Herausforderungen zu leben. Und vor allem, dass es keine Schande ist sich dabei Hilfe zu holen, wie bei einem gebrochenen Bein.

In einer Welt, die auf Selbstoptimierung und Erfolg und Perfektion setzt, bleibt dafür aber oft kaum Platz. „Reiß dich mal zusammen!“ – wie schnell wird das gesagt. Oder: „Denk positiv, dann wird das schon.“

Aber wer sich wirklich gerade oder nicht mehr bewegen kann – innerlich oder äußerlich – weiß, dass solche Sprüche nicht tragen. Ganz im Gegenteil, bürden sie den Menschen noch mehr Lasten auf. Es ist leicht, über Gesundheit zu reden. Aber Heilsein ist mehr als Gesundsein. Und es gibt mehr, als diesen Spruch, den ich oft bei Geburtstagsbesuchen höre: Ja, ja, Herr, Pfarrer, Hauptsache gesund. Es gibt ein Heilsein, ein sich Lebendig fühlen auch im Kranksein und es gibt ein gebrochen und elend sein, auch dann wenn äußerlich alles gut scheint.

Am Teich Bethesda liegt ein Mensch, seit 38 Jahren. Das ist eine unglaublich lange Zeit! Er wartet auf das Wunder, dass sich das Wasser bewegt. Aber er selbst – bewegt sich nicht mehr. Vielleicht, weil er nicht mehr kann. Vielleicht, weil er es verlernt hat zu hoffen. Gründe werden gar nicht genannt.

Allerdings frage ich mich schon, warum keiner der Menschen drumherum, diesem Menschen hilft.

Und dann steht Jesus da. Er fragt nicht nach Diagnosen oder Fortschritten, nicht nach Trainingsplan oder Glaubensstärke.

Er fragt einfach: „Willst du gesund werden?“

Was für eine Frage. Fast übergriffig. Vielleicht sogar provozierend. Aber sie trifft mitten ins Herz.

Jesus fragt nicht: „Kannst du?“ Sondern: „Willst du?“

Er spricht den Willen an, den inneren Funken, der vielleicht verschüttet ist unter all der Scham, Müdigkeit und alten Sätzen wie: So bin ich eben. Es ändert sich ja doch nichts. Bei mir hat doch noch nie was geklappt.

Vielleicht geht’s uns allen ja manchmal ähnlich. Wir liegen auf unseren eigenen Matten, die uns am Boden halten: der Erwartungsdruck, alles im Griff haben zu müssen. die Angst, nicht zu genügen, nicht mehr zu genügen oder zur Last zu fallen. die Traurigkeit, die weggelächelt wird. die Schuld, die sich festgesetzt hat. das Gefühl, übersehen zu werden, nicht dazu zu gehören. Einsam zu sein. Keine Verbindung zu bekommen.

Wie ist das für dich? Was lähmt dich? Was macht dich krank?

Und umgekehrt: was macht dich wieder beweglich? Oder anders gefragt: Was bewegt dich?

Wann fühlst du dich lebendig?

Jesus sieht den Menschen, den Kranken. Nicht nur seinen Körper – sein ganzes Leben. Er sieht, dass Heilung mehr braucht als ein Wunder. Sie braucht: Ansehen.

Und das schenkt Jesus zuerst. Er sieht ihn. Und dieses Sehen weckt etwas in ihm. Ein Mensch, der angesehen wird, steht leichter auf. Die Gemeinschaft mit diesem einen Menschen macht Mut. Gibt Zuversicht. Wie in der Geschichte von den Freunden, die ihren Freund zu Jesus schleppen oder die Geschichte von den Ältesten, die bei den Kranken nicht wegschauen, sondern ihre Hände auf die Kranken und die Wunden legen und um Heilung bitten.

Und neben dem Ansehen, schenkt Jesus auch Vertrauen. Vertrauen und Zutrauen in die eigenen Möglichkeiten. Vertrauen ins Leben: nach all den Rückschlägen, trotzdem ja zum Leben sagen.

Und dann sagt Jesus: „Steh auf, nimm deine Matte und geh!“ Interessant ist, dass die Geschichte in der Bibel so erzählt wird, dass dieser Satz dreimal wiederholt wird. Nimm deine Matte und geh. Nicht: Lass deine Matte liegen und vergiss alles.

Sondern: Nimm sie mit. Trag deine Geschichte. Dein Bett, deine Matte. Das Symbol deiner Schwäche wird zu einem Zeichen der Würde.

Heilsein heißt nicht, dass alles gut ist.

Heilsein heißt: Ich bin im Leben wieder beteiligt.

Ich kann wieder gehen, auch wenn ich Wunden und Narben trage, sichtbar oder unsichtbar. Ich darf Teil einer Gemeinschaft sein, die trägt, die betet, die mich erinnert: Du bist gesehen, mit deiner Geschichte,  mit deinen Verletzungen und Brüchen.

Manchmal geschieht Heilung nicht, weil oder wenn das Symptom verschwindet, sondern weil ich mich wieder als Mensch spüre. Krank – und doch lebendig. Verwundet – und doch in Bewegung. Unvollkommen – und doch geliebt.

Jesus heilt nicht, indem er ein Ideal herstellt. Er heilt, indem er Beziehung stiftet. Er schenkt Gemeinschaft. Er unterbricht das einsame Warten am Rand.

Und das verändert alles.

Heilung geschieht, wo jemand hinsieht.

Wo jemand glaubt.

Wo jemand betet.

Wo Menschen füreinander da sind.

Heilung durch Gemeinschaft.

Durch Gebet. Durch Nähe.

Durch das Vertrauen, dass Gott mich nicht fragt: „Wie fit bist du?“ – sondern: „Willst du leben?“ „Willst du gesund sein?“ Trotz und in deinen Brüchen und schweren Verwundungen?

Vielleicht ist das die eigentliche Einladung dieses Textes:

nicht zu werden wie die Gesunden, sondern lebendig zu werden wie der, der gesehen wurde. Heilsein heißt:

Ich darf sein. Mit allem, was mich lahmlegt und allem, was mich bewegt.

Jesus ruft ins Leben, nicht in die Perfektion.

Er schenkt Ansehen – und das lässt Menschen aufstehen und ihre Geschichten tragen und ihre Würde und ihre Lebendigkeit wiederfinden.

Und doch: Die Geschichte endet nicht einfach mit Freude über das Wunder. Kaum ist der Mann geheilt, da regen sich die Stimmen, die das Ungewöhnliche tadeln. Die Hüter der Ordnung sehen nicht den aufrechten Menschen, sondern den, der das Gesetz bricht – weil er am Sabbat seine Matte trägt. Die herrschende Ordnung, die vertraute Rollenverteilung: sie hält lieber fest an der alten Ordnung, an der Sicherheit des Bekannten. Heilung stört das System. Sie verschiebt Grenzen. Sie rüttelt an Bildern von Krankheit und Schuld. Auch heute ist das so: Wenn jemand mit einer sichtbaren oder unsichtbaren Behinderung öffentlich spricht, wenn Menschen ihr Leiden zeigen oder ihre Grenzen selbstbewusst benennen, geraten Konventionen ins Wanken. Gesellschaft und Kirche lernen neu, dass Heilung nicht Gehorsam bedeutet, sondern Freiheit. Freiheit, das eigene Leben in Gottes Licht zu stellen – auch wenn das alte Ordnungen irritiert.

Jesus ruft ins Leben hinein, gegen die Schwerkraft der Gewohnheit. Wer aufsteht, bewegt auch andere.

So lasst uns gemeinsam hinschauen, Ansehen geben und Würde und in unserer Gemeinde für einen Save Space eintreten, in dem Menschen als Menschen Gemeinschaft und Kraft und Heilung verschenken und finden.

Dabei hilft uns der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft. Er bewahrt unseren innersten Wesenskern, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

 

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