Predigt zu Jer 8,4-7
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Liebe Gemeinde!
Heute ist VOLKSTRAUERTAG - ein staatlicher Gedenktag zur Erinnerung an die Schrecken der letzten beiden Weltkriege. Ein offizieller Tag der Trauer und der Erinnerung, nicht nur für die Angehörigen jener Menschen, die in diesen Kriegen zu Tode kamen, sondern für unser ganzes Volk. Dieser Teil unserer Geschichte soll nicht vergessen werden.
Aber warum eigentlich?! Viele sagen, 68 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges muss es doch endlich mal genug sein mit Trauern, mit Schuld bekennen und Ermahnungen. Wir kennen doch die Schrecken des Krieges mehr als genug und es ist doch hier wirklich niemand, der Krieg noch für eine legitime Möglichkeit hält, politische Ziele und Werte durchzusetzen! Wirklich niemand?!?
Spätestens die grausamen und unmenschlichen Anschläge von 9/11 haben unsere Werte, Ideale und Vorstellungen radikal in Frage gestellt.
Krieg und Gewalt gegen Terroristen und gegen solche es sein könnten wurde plötzlich hoffähig. Jeder staatliche Übergriff auf ein anderes Land wird seither mit Terrorismusbekämpfung gerechtfertig. Es scheint ja auch auf der Hand zu liegen, dass wir uns „verteidigen“ müssen gegen die brutale, unberechenbare Gewalt.
Die Stimmen, die nach Ursachen des Terrors und Ungerechtigkeit fragen, sind immer noch leise. Sie geben zu bedenken, dass Amerika bzw. die westliche Welt den armen Ländern dieser Welt und den islamistischen Gruppierungen immer wieder Nahrung für ihren Hass gegeben haben. Nicht, dass dadurch grausame Terroranschläge am 11. September gerechtfertigt werden sollen, aber diese Stimmen wollen deutlich machen, dass die Ursachen in einer ungerechten Weltpolitik liegen, dass die reichen Länder auf Kosten der Armen leben, dass die einseitige Ausrichtung auf Profit und Wirtschaftswachstum keine Rücksicht auf die Interessen der kleinen Länder nimmt.
Die Welt rückt immer enger zusammen. Immer deutlicher wird, dass auch wir, die wir im Frieden unseres Landes leben, für Kriegszustände in anderen Ländern mitverantwortlich sind. Unser Wohlstand beruht auch darauf, dass wir auf Kosten der anderen leben. Das erzeugt Druck, Hass und Gewalt. Das Böse, so sagen die leisen Stimmen, lässt sich nicht mit Krieg und Gewalt austreiben und bezwingen, sondern nur durch eine gerechtere Weltwirtschaft und -politik. Doch niemand will sie so recht hören oder verstehen.
Ein anderes Beispiel, gar nicht mehr weit weg, an fernen Schauplätzen. Gewaltbereitschaft gibt es auch hier bei uns, auf manchen Schulhöfen zum Beispiel. Da wird gerempelt oder zugeschlagen, wenn einem die Meinung des anderen oder sein Aussehen oder seine Herkunft nicht passt. Viele Kinder und Jugendliche lernen es gar nicht mehr, sich mit Worten auseinander zu setzen und auf diesem Wege Möglichkeiten zu einem Miteinander oder zumindest zu einem friedlichen Nebeneinander zu suchen. Und ganz folgerichtig halten die Eltern und Großeltern ihre Kinder dazu an, sich doch bitteschön zu wehren und zurückzuschlagen, wenn sie angegriffen werden. Und so gibt es kein Ende: Gewalt erzeugt Gegengewalt, im Kleinen wie im Großen. Ein Teufelskreis, aus dem Auszubrechen nicht in der Natur des Menschen zu liegen scheint. Unbegreiflich, aber anscheinend wahr, es ist zum Verzweifeln.
Verzweifelt am falschen Weg seines Volkes war auch der Prophet Jeremia vor ungefähr 2400 Jahren. Kurz bevor Juda und Israel von den damaligen Weltmächten geschluckt und zerstört wurde, dachte das Volk Israel sich durch Bündnisse schützen zu können. Nicht auf Gott setzten sie ihre Hoffnung, sondern auf Nachbarländer und deren Streitmächte. Und die Priester als Vertreter der Religion rechtfertigten dieses Vorgehen, logen den Menschen vor, dass der Segen Gottes auf diesen kriegerischen Wegen läge. Unser Predigttext heute Jer 8,4-7 ist ein Ausschnitt aus einer Rede Jeremias. Er spricht im Namen Gottes und klagt:
So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen. Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.
Liebe Gemeinde!
Unbegreiflich ist es dem Propheten, dass sein Volk unbeirrbar festhält an seinem falschen Weg. Er ist verzweifelt. Das normalste, was schon ein Kind tun würde, wird nicht getan: aufstehen, wenn man hingefallen ist, den richtigen Weg einschlagen, wenn man merkt, man hat sich verlaufen. Das Volk will oder kann einfach nicht aufhören, falschen Göttern zu dienen oder die Unwahrheit zu sagen, geschweige denn, sich selbst fragen: „Was hab ich doch getan?“ und damit seine Fehler zugeben. Nicht mehr zu bremsen ist das Volk Israel. Selbst die Tiere wissen und befolgen besser, was für sie gut ist.
Resigniert stellt der Prophet all dies im Namen Gottes fest und klagt diesen Zustand an. Keine Aussicht auf Änderung: „Mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.“ Ich sehe Jeremia fast vor mir, wie er sich die Haare rauft, nicht mehr weiter weiß, keine Hoffnung mehr hat, dieses Volk wieder auf den richtigen Weg zurückzubringen.
Kennen sie das auch, liebe Gemeinde?! Vom Streit mit dem Ehepartner, dem Arbeitskollegen oder einer Nachbarin? Jahrelang kann man sich schon nicht mehr in die Augen sehen, aber Umkehr und einen Fehler eingestehen scheint unmöglich? Oder ihr Jugendlichen in der Schule, Streit mit einem ehemals guten Freund oder einer guten Freundin und keine Lösung ist in Sicht? Trotzig beharrt das Kind in uns auf seiner Einstellung: Ich entschuldige mich nicht, der oder die hat doch schließlich angefangen! ...
Im größeren Rahmen: Trotz vielfältiger Bemühungen scheint es nicht zu gelingen, den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern herzustellen. Gleiches gilt für Syrien und viele andere Länder, in denen das Aufbegehren der Menschen brutal niedergeschlagen wird.
Oder auf unsere Umwelt bezogen: Gerade ist wieder Weltklimagipfel und die Aussichten auf eine wirklich wirksame Einigung sind gering. Dabei sprechen die Studien und die Mahner eine klare Sprache: Wenn die Treibhausgase nicht sofort radikal reduziert werden, wird die schleichende Erwärmung der Atmosphäre einen tödlichen Klimawechsel verursachen. Wenn wir nicht weiter nach alternativen Energien suchen, dann werden uns selber und dazu und vor allem unsere Kinder und Enkel durch den Müll aus den Atomkraftwerken verstrahlen. Nur wenige Menschen handeln, die meisten beharren auf ihrem Weg. Umkehr unmöglich, dazu sind die Geldinteressen einzelner Menschen oder Staaten zu stark. So können wir die Worte Jeremias auch heute noch als Mahnungen an uns verstehen und in dem irrsinnigen Verhalten der Menschen damals, an vielen Stellen unser eigenes irrsinniges Verhalten wiedererkennen.
Was hilft uns heraus? Weshalb nicht an dieser Stelle resignieren und sich sagen, die Welt und die Menschen sind eben so, da kann man nichts ändern?
Der einzige Trost auf Veränderung des Herzens und des Verhaltens, liebe Gemeinde, besteht bei Jeremia darin, dass Gott immer noch mit seinem Volk spricht, dass er es immer noch als „MEIN VOLK“ anredet, auch wenn er unter dieser Halsstarrigkeit und Unwahrhaftigkeit des Volkes Israel leidet. Allein Gott selbst kann die Menschen zur Umkehr bewegen. Allein er kann die Unfähigkeit und den Unwillen zur Umkehr heilen. Das gilt auch für uns und unsere ganz persönlichen Sackgassen und Irrtümer: Gott selbst wird uns dort herausführen und die Wahrheit ins Licht bringen. Jeremia spricht von dieser Hoffnung auf Gottes zur Umkehr bewegendes Handeln im 31. Kapitel so: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.“
Das ist die Hoffnung für alle Unbeirrbaren und alle, die meinen, auf dem richtigen Weg zu sein: Gott wird die Umkehrunfähigkeit an der Wurzel heilen: Er wird sein Gesetz direkt in das Herz, in das Zentrum des Wollens, Fühlens und Handelns geben und so selbst eine Änderung herbeiführen.
Das ist auch unsere Hoffnung in der Erinnerung der vergangenen Kriege und der Kriege die noch heute geführt werden, im Angesicht von Gewalt und Gegengewalt. Deshalb ist es auch so wichtig, heute noch die Wunden und Verletzungen, die beide Kriege Menschen zugefügt haben offen zu halten; sich im Gedenken an die unzähligen Opfer immer noch erschrecken oder besser noch, aufschrecken zu lassen und die eigene Einstellung zu überprüfen. Bin ich auf dem richtigen Weg? Dient mein Verhalten dem Frieden?
Und wenn ich erkenne, ich kann mich nicht selbst auf den Weg des Friedens bringen, dann Gott zu bitten, der allein das Herz ändern kann.
Wir haben heute am Volkstrauertag, die Möglichkeit innezuhalten, des Vergangen zu gedenken, die Opfer zu betrauern und daraus unsere Schlüsse für die Gegenwart und die Zukunft ziehen. Vergessen wir dabei nicht, dass Gott es ist, der uns von der ewigen Wiederkehr des gleichen und aus der Spirale der Gewalt befreien. Deshalb: legen wir alles in Gottes heilende Hände, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Er helfe uns auf unserem Weg zum Frieden!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
(Henning Porrmann)